Ein zweiter Urvogel vom Solnhofen-Archipel

Die Archaeopteryx-Arten aus dem Solnhofener Plattenkalk sind als „DER Urvogel“ eine Ikone der Paläontologie und der Evolutionsbiologie. Sie zeigen in einer nahezu lehrbuchhaften Mosaikform moderne, vogelähnliche Merkmale, kombiniert mit ursprünglicheren, dinosaurierähnlichen Merkmalen. So gelten sie als „Missing Link“ (obwohl sie ja da sind und nicht fehlen) zwischen Dinosauriern und Vögeln. Aufgrund ihres Status‘ sind sie auch einer der zentralen Punkte bei der noch ungeklärten Entstehung des Vogelfluges. Bisher ist kaum zu belegen, ob er sich aus dem Gleitflug „vom Baum herab“ entwickelt hat, oder ob der Flatterflug unabhängig entstanden ist. Archaeopteryx steht hier mit aerodynamisch hervorragend geformten Federn, jedoch einem nur schwach verknöcherten Brustbein zwischen beiden Möglichkeiten. Doch jetzt haben Oliver Rauhut et al. einen bisher unbekannten Urvogel beschrieben, der zeitgleich mit Archaeopteryx im Solnhofen-Archipel lebte. Er war seinem Nachbarn flugtechnisch ein gutes Stück voraus.
Bisher kennt man von der Alcmonavis poeschli genannten Art nur einen Flügel. „Wir hatten erst angenommen, dass auch dieses Exemplar ein Archaeopteryx ist, und haben es uns bei der Untersuchung nicht leicht gemacht. Es sind Ähnlichkeiten da, aber seine fossilen Reste lassen vermuten, dass es sich um einen etwas höher entwickelten Vogel handelt“, so Oliver Rauhut, Professor für Paläontologie und Geologie an der LMU München und der Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie und Geologie.
Die neu beschriebene Art

Alcmonavis poeschli war etwas größer als Archaeopteryx, er konnte auch besser fliegen: „Muskelansatzstellen am Flügel deuten auf ein verbessertes Flugvermögen hin“, sagt Rauhut. Alcmonavis poeschli weist mehrere Merkmale auf, die Archaeopteryx nicht hat, jüngere Vögel aber schon. Diese deuten auf eine bessere Anpassung an den aktiven Flatterflug hin. Da bisher nur wenige Knochen aus dem Handbereich bekannt sind, können die Wissenschaftler über den Rest des Tieres naturgemäß wenig sagen. Das Fossil zeigt noch Krallen an den Fingern, wie sie auch bei Archaeopteryx vorkommen.
Neue Aspekte bei der Entstehung des Fluges
Christian Foth von der Université de Fribourg (Schweiz), einer der Koautoren der Studie unterstreicht die Bedeutung des Fundes: „Seine Anpassungen zeigen, dass die Evolution des Fluges relativ schnell vorangeschritten sein muss.“ Die Autoren der Erstbeschreibung meinen, dass dieser Fund die Hypothese unterstützt, der Flatterflug sei direkt entstanden und keine Weiterentwicklung des Gleitfluges. Weitere Untersuchungen seien hier aber notwendig.
Das Fossil stammt aus dem Steinbruch am Schaudiberg in Mörnsheim. In denselben Schichten des Plattenkalkes wurde das elfte Fossil (Daiting Exemplar) des Archaeopteryx gefunden. Die beiden Urvogelarten lebten offenbar nebeneinander oder in Konkurrenz im Solnhofener Archipelago, einer subtropischen, aber trockenen Lagunenlandschaft.
Der Gattungsname setzt sich aus der keltischen Bezeichnung Alcmona für die Altmühl und avis für Vogel zusammen. Der Artname ehrt Roland Pöschl, der die Ausgrabungen leitet.
Links:
Abstract der Erstbeschreibung bei eLife 2019;8:e43789 doi: 10.7554/eLife.43789
Pressemeldung der LMU mit O-Tönen der Wissenschaftler
Meine Meinung:
Ein solcher Fund ist ein gewaltiger Glücksfall. Auch wenn die Solnhofener Plattenkalke sehr fossilienreich sind und sehr gute Fundmöglichkeiten bestehen, sind Funde wie dieser sehr selten. Leider ist dadurch auch die Wahrscheinlichkeit, ein zweites Exemplar dieser Art zu finden, sehr gering – wobei: man weiß, wo man suchen muss.
Das Dino-Vogel-Übergangsfeld
Archaeopteryx war der ultimative Beweis, dass die Vögel von den Dinosauriern abstammen. Er stellt auch nach fast 160 Jahren Forschungsgeschichte immernoch den Mittelpunkt des „Dinosaurier-Vogel-Übergangsfeldes“. In dieser Funktion steht er auch in einer morphologischen, jedoch nicht zeitlichen Abfolge verschiedener Tiere, die den Vogelflug entwickelt haben. Die Tatsache, dass diese Abfolge zwar morphologisch und funktionell, aber nicht zeitlich belegt ist, deutet darauf hin, dass viele dieser fast-flugfähigen Tiere sehr überlebensfähig waren und eine bessere Flugfähigkeit keine bessere Anpassung an ihren Lebensraum gewesen wäre.
Archaeopteryx und die Flugfähigkeit
Archaeopteryx selber kann bei der Frage nach der Entstehung der Flugfähigkeit nur sehr begrenzt helfen. Seine Federn sind echte Konturfedern, wie sie ein moderner Vogel hat. Sie sind bereits optimal ans Fliegen angepasst, anders als bei den nicht näher verwandten Fledersauriern. Die relativ langen, kräftigen Beine können sowohl auf Bodenleben wie auch aufs Baumklettern hindeuten. Archaeopteryx trug Krallen an den Händen/Flügeln. Diese kann man als Rudiment des Dinosaurieranteils, aber auch als Anpassung an ein Baumklettern interpretieren.
Eine Frage können die Archaeopteryx-Fossilien bisher nicht beantworten: War seine Brustmuskulatur stark und ausdauernd genug für einen Flatterflug, ohne den Kreislauf zu überlasten. Eine zentrale Rolle spielt hier das Brustbein – und ausgerechnet dieser Knochen ist bei den Fossilien bisher nicht gefunden worden. War es nicht verknöchert? Vermutlich war er nur knorpelig. Konnte ein knorpeliges Brustbein ausreichend Halt für eine starke Flugmuskulatur bieten? Und: waren die Ansatzstellen an den Oberarmknochen groß genug, um einen starken Muskel zu halten?
Die letztere Frage beantworten Rauhut et al. für den zweiten Urvogel Alcmonavis poeschli eindeutig mit „ja“. So war zumindest dieser Vogel eindeutig flugfähig und konnte von Insel zu Insel des Sonhofen-Archipels fliegen.