Wieso es meist blöd ist, wissenschaftliche Namen zu übersetzen

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Wieso „muss“ man die Namen von Dinosauriern übersetzen, den von Pokémons aber nicht?

In einem Zoologie-Forum, das heute leider nicht mehr existiert, merkte einmal ein User an, dass er kein Latein beherrsche, um die wissenschaftlichen Namen verstehen zu können.

Derzeit bemerke ich im Hobby-Dinosaurier-Bereich, insbesondere dort, wo es um Kinder geht, eine Tendenz, wissenschaftliche Namen zu übersetzen.

Ich halte es für unnötig, Latein zu lernen, um wissenschaftliche Namen zu „verstehen“. Eine Übersetzung der Namen erscheint mir genauso wenig sinnvoll, oft ist es absurd. Dem eigentlichen „Problem“ an der Sache, den Umgang mit wissenschaftlichen Namen zu begreifen, kommt man mit einer Übersetzung kaum nahe.

Wozu überhaupt wissenschaftliche Namen?

Über viele Jahrhunderte verwendete man nur die traditionellen „umgangssprachlichen“ Namen für Tiere und Pflanzen. Das war so lange kein Problem, wie es unnötig war, mit einem anderen interessierten Menschen zu kommunizieren, der eine andere Sprache sprach oder viele hundert Kilometer entfernt wohnte.

Für den Haussperling gibt es eine Vielzahl von Namen: Spatz, Sperling, Lünk, Dacklüün, Leps, und zahlreiche mehr. Wenn ein Ostpreusse vom Spunter und ein Rheinländer von der Mösch sprechen, merken sie meist erst sehr spät, dass es sich um den selben Vogel handelt.

Anders ist es beim Barramundi. Mit diesem Namen wird in den größten Teilen Australiens ein Riesenbarsch bezeichnet, der mit dem Nilbarsch oder Viktoriabarsch verwandt ist. Er ist in Australien einer der wichtigsten Speisefische und wird häufig geangelt.

Im Nordosten des Landes und in Neuguinea gibt es jedoch einen weiteren Fisch mit dem Namen Barramundi: einen Knochenzüngler, der mit dem Arapaima und den Gabelbärten verwandt ist. Er wird ebenfalls recht groß, ist aber wesentlich seltener und streng geschützt. Spätestens, wenns um den Fang der Tiere geht, wird’s also kompliziert.

Wissenschaftler müssen wissen, welches Tier oder welche Pflanze der Kollege meint, wenn er darüber eine Arbeit veröffentlicht. Zu Beginn der systematischen Geo- und Biowissenschaften in der zweiten Hälfte des 18.  Jahrhunderts war das ein großes Problem.

Von Carl von Linné erfunden

Carl von Linné nach einem Gemälde von Alexander Roslin
Carl von Linné, 1707 – 1778, Erfinder der binominalen Nomenklatur

Der schwedische Botaniker Carl von Linné ist vielen Naturfreunden aus den Büchern von Christina Björk, z.B. „Linnéa und die schnellste Bohne der Stadt“ bekannt. In der Wissenschaft ist er für ein revolutionäres System der Benennung von Organismen berühmt geworden, die Binominale Nomenklatur. Er hat als erster einen streng biologisch aufgebauten Stammbaum genutzt. Dabei hat er die Basisebene „Art“ aufgestellt. Was genau eine Art ist, ist unter Biologen ein großer Streitpunkt, für den Laien reicht meist eine Umschreibung wie „Die Tiere sehen einander sehr ähnlich und können sich potenziell miteinander fortpflanzen“. Jede Art bekommt einen „Artnamen“.

Ähnliche Arten (z.B. alle Pferde, Esel, Halbesel und Zebras) werden in einer Gattung zusammengefasst. Wenn schon die Definition der „Art“ sehr schwierig ist, erscheint die Definition, was eine Gattung ist, schon fast unmöglich. Interessanterweise ist oft das Gegenteil der Fall, Wissenschaftler fällt die Zusammenfassung verwandter Arten in einer Gattung einfacher, als die Grenzen einer Art zu bestimmen. Jede Gattung bekommt einen „Gattungsnamen“.

Wissenschaftliche Namen sind immer zweiteilig

Mit dem Gattungsnamen (das ist der erste Teil, z.B. Equus) wird der nähere Verwandtschaftsbereich des Tieres definiert. Der Gattungsname wird groß geschrieben und steht als erster Namensbestandteil.

Mit dem Artnamen (das ist der zweite Teil, z.B. ferus) wird die Art bezeichnet. Der Artname wird immer klein geschrieben und steht als zweiter Namensbestandteil.

So wird das Wildpferd Equus ferus. Wissenschaftliche Namen werden in wissenschaftlichen Publikationen in der Regel kursiv geschrieben.

Übrigens: Jedes beschriebene Tier hat einen zweiteiligen Namen, das gilt auch für alle beschriebenen Dinosaurier, nicht nur Tyrannosaurus rex!

Ausnahmen (muss man nicht lesen)

Und schon gibt es die erste Ausnahme. Es kann auch dreiteilige wissenschaftliche Namen geben. Der dritte Namensbestandteil bezeichnet dann eine Unterart. Unterarten gehören zur selben Art wie die „Normalform“, wissenschaftlich „Nominatform“ und unterscheiden sich im Aussehen von ihr, bei Fischen z.B. durch rote Tupfen in den Flossen bzw. deren Verlaufen zu roten Streifen. Oft sind Unterarten geographisch getrennt (gewesen) und immer fruchtbar kreuzbar. Der Name der Unterart wird als dritter Namensbestandteil angehängt. Ist die Nominatform gemeint, wird der Artname wiederholt, z.B. Equus ferus ferus für das europäische Wildpferd (ausgestorben). Oft wird der erste Artname einmal ausgeschrieben und dann abgekürzt, so dass es zu Equus f. ferus wird. Das asiatische Wildpferd ist ausgeschrieben Equus ferus przewalskii oder kurz Equus f. przewalskii.

2. Wo kommt der wissenschaftliche Name her?

Deutsche Namen haben sich in der Regel über lange Zeit eingebürgert. Da sie umgangssprachlich sind, sind sie nie völlig eindeutig: Für eine Tierart kann es mehrere Namen geben, während es auch mehrere Tierarten mit dem selben Namen geben kann. Die Schwierigkeiten habe ich oben bereits beschrieben. Die Wissenschaft kann mit so etwas nicht arbeiten, deswegen wurde das von Linnè entwickelte System weiter entwickelt.

Wenn ein Wissenschaftler eine neue Art entdeckt, kann er ihr einen Namen geben. Dazu veröffentlicht ein Wissenschaftler eine „Erstbeschreibung“ in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift und hinterlegt ein Exemplar („Holotypus“) in einer wissenschaftlichen, öffentlich zugänglichen Sammlung, meist an einem Museum. In der Erstbeschreibung veröffentlicht der Wissenschaftler, wie das Tier aussieht, welche speziellen Merkmale es hat und vor allem, wie es sich von nahe verwandten Arten unterscheidet. Dazu gehört ein Fundort und eine Darstellung der Verwandtschaft.

Hierbei gilt der Holotypus und nicht die Erstbeschreibung als Referenz: alle Tiere, die zur gleichen Art wie der Holotypus gehören, tragen auch seinen Namen.

3. Was heißt nun der wissenschaftliche Name?

Wissenschaftliche Namen können eine wörtliche Bedeutung haben, müssen es aber nicht. Die wörtliche Bedeutung des Namens ist in der Regel auch unwichtig. Sie bezieht sich oft auf Merkmale, die für Laien oder Fachleute nicht direkt erkennbar oder wichtig sind. Daher ist eine Übersetzung des wissenschaftlichen Namens ins Deutsche meist Unsinn.

Die eigentliche Bedeutung des Namens liegt in seiner Eindeutigkeit: Es gibt (bzw. sollte geben) keine zwei Tierarten mit dem selben Namen und keine zwei Namen für das selbe Tier. Gleichzeitig stellt der Name eine Art Link zur Erstbeschreibung und zum Holotypus dar. Wenn ich also wissen möchte, welche Merkmale der Erstbeschreiber als Alleinstellungsmerkmale für diese Art angesehen hat, kann ich dort nachsehen.

Die Namen selber kann der Wissenschaftler mehr oder weniger frei wählen. Echte Einschränkungen gibt es wenige, auch die soll-Regeln sind eher weit gesteckt: Ein wissenschaftlicher Name soll möglichst lateinischen oder griechischen Ursprung haben und das Tier beschreiben. Nicht sinnvoll ist, einen Artnamen zu wählen, der in einer nahe verwandten Gattung bereits vorkommt (falls jemand die Gattungen zusammenlegt, gibts Riesenchaos). Es gilt als unfein, ein Tier nach sich selber zu benennen.

In den wissenschaftlichen Namen stecken viele Anekdoten

Beleidigungen sollten in wissenschaftlichen Namen nicht vorkommen. Doch schon Carl von Linné hat gegen diese Regel verstoßen. Seinem Rivalen Johann Georg Siegesbeck widmete er ein „unbedeutendes Unkraut“, das bis heute Sigesbeckia serrata (Inklusive Schreibfehler!) heißt. Unter den Parasiten findet man mehr als einmal Tiere, die den Geburtsnamen einer ehemaligen Partnerin des Erstbeschreibers tragen.

Beispiel Diskusbuntbarsch

Symphysodon aequifasciatus ist ein Diskusbuntbarsch aus Südamerika. Der Gattungsname Symphysodon setzt sich aus dem griechischen symphys… = zusammengewachsen/ Symphyse = zusammengewachsener Bereich, und …don = Zahn zusammen. Damit ignoriert der Erstbeschreiber die auffälligsten Merkmale des Tieres komplett und nimmt weder Bezug auf die runde Körperform noch die starke seitliche Kompression. Das Merkmal „Zähne (nur) an der Symphyse“ erschien ihm einzigartig genug, um den Fisch danach zu benennen. Die Zähne kann man nur mit der Lupe erkennen.

Der Artname „aequifasciatus“ bedeutet „gleichgestreift“ und hat an sich keinen besonderen Wert. Erst im Vergleich mit der früher beschriebenen Art Symphysodon discus zeigt sich die Bedeutung des Namens: Bei diesem wird ein Streifen hinter der Körpermitte stark betont, was bei aequifasciatus nicht der Fall ist.

Beispiel Dinosaurier

Micropachycephalosaurus hongtuyanensis, IJ Reid, CC 3.0
Zeichnerische Rekonstruktion von Micropachycephalosaurus hongtuyanensis

Micropachycephalosaurus ist ein Gattungsname eines kleinen Dinosauriers. Der Erstbeschreiber stellte ihn in die Gruppe der Pachycephalosaurier und erkannte ihn als besonders kleines Exemplar dar. Daher hat er dem Gattungsnamen Pachycephalosaurus ein „Micro“ vorgesetzt („micro“ brauche ich wohl kaum als „sehr klein“ zu übersetzen).

Die Silbe „Pachy“ kommt aus dem Griechischen und wird meist im Sinne von dick oder verstärkt verwendet. „Cephalos“ ist ebenfalls griechisch und bedeutet Schädel, „-saurus“ ist eine oft verwendete Endung bei Gattungsnamen für Reptilien.

Wörtlich genommen, würde Micropachycephalosaurus (Micro-pachy-cephalo-saurus) also Klein-verstärkt-Schädel-Reptil heißen, oder Kleiner Dickkopfsaurier, wenn man es etwas geschmeidiger mag. Mittlerweile hat man leider festgestellt, dass dieser Dinosaurier gar nicht in die Gruppe der Pachycephalosaurier gehörte, wie in der Erstbeschreibung vermutet. Den Namen behält er trotzdem.

Anmerkung: ich habe ein besonderes Problem mit dem Anhängsel -saurus. Es wird häufig bei Dinosauriern verwendet, die wohl deutlich vogelähnlicher waren, als vor einigen Jahren vermutet. Daher wäre eine Übersetzung mit „Echse“ ziemlich unpassend. Allerdings wird dieses Anhängsel auch bei typischen Echsen wie der (rezenten) Krokodilschwanz-Höckerechse Shinisaurus crocodilurus verwendet. Hier ist die Wissenschaft über die Taxonomie hinweggelaufen.

Beispiel Messerfische

Völlig absurd wird eine Übersetzung des Namens spätestens dann, wenn die Erstbeschreiber ihre Namen nicht beschreibend wählen, sondern beispielsweise zu Ehren von Kollegen. So gibt es die Messerfischgattung Eigenmannia, die nach dem Ichthyologen Carl H. Eigenmann benannt wurde. Man könnte den Namen noch als „Eigenmanns Messerfische“ übersetzen, aber absurd wird es, wenn man die Art Eigenmannia humboldtii übersetzen würde: „Humboldts Eigenmanns Messerfisch“? Das macht keinen Sinn mehr, oder?

Die letzten Beispiele

Bestimmte Namen lassen sich nicht übersetzen, selbst wenn man guten Willen und viel Freiheit beim Sprachverbiegen an den Tag legt. Beispielsweise trägt der Zingel (ein einheimischer Barsch) den schönen wissenschaftlichen Namen Zingel zingel. Der nahe verwandte Streber heißt „auf schlau“ Zingel streber. Was will man da noch übersetzen?

Der österreichische Zoologe Franz Werner hat sich offenbar über seine gelungene Diagnose einer Stabschreckenart so gefreut, dass er das Tier Denhama aussa genannt hat. Spricht man den Namen mit wienerischem Akzent aus, hört man „Den haben wir raus“ heraus.

4. Sind wissenschaftliche Namen lateinisch?

Das ist sicher im vorhergehenden Abschnitt schon klar geworden: Latein darf, muss aber nicht. Linné’s  Idee, Tiere, Pflanzen und Gesteine mit einem zweiteiligen Namen eindeutig zu benennen, stammt aus dem frühen 18. Jahrhundert. In dieser Zeit galt man als gebildet, wenn man diese beiden (damals schon nutzlosen) Sprachen sprach und einige Werke der Antike zitieren konnte. Altgriechisch und noch mehr das klassische Latein waren die internationalen Sprachen der Bildungselite. Es war also völlig natürlich, dass Linnè seine Systematik auf Latein schrieb und die meisten Namen aus griechischen und lateinischen Silben zusammenfügte.

Mei long, Foto Bruce McAdams, CC 2.0
Der kleine, schlafende Dinosaurier Mei long

Heute wird das nicht mehr so eng gesehen. Gerade chinesische Wissenschaftler, deren Kultur sich ja nicht auf die klassische Antike bezieht, greifen sehr oft auf andere Namensbestandteile zurück. Ein schönes Beispiel ist Mei long, ein kleiner, vogelähnlicher Dinosaurier, der in Schlafpose gefunden wurde. Der Name ist direkt aus dem Chinesischen übernommen und bedeutet „Schlaf, Drache“. Möglicherweise ist dem Autor da unbeabsichtigt ein Fehler unterlaufen. Der Gattungsname Mei hat die Bedeutung von Schlaf oder „tiefschlafend“, hier wäre Long „Drache“ sicher passender gewesen. Spätestens beim nächsten Vertreter der Gattung wird sich der Erstbeschreiber überlegen müssen, wer da statt des Drachen schläft. Wie wäre es mit Mei mingming? “mingming“ ist die an die westliche Schrift angepasste Übersetzung des Wortes „Namensgeber“.

 

5. Wieso enden so viele Artnamen auf -i oder -ii?

Artnamen, die auf -i oder -ii enden, sind Dedikationsnamen. Der Erstbeschreiber hat diese Art jemandem gewidmet, meist dem Finder/ Sammler/ Fänger oder verdienten Kollegen. Um den Namen eines Menschen in einen Artnamen zu verwandeln, muss man ihn latinisieren. Die einfache Version ist, bei einem Mann ein -us und bei einer Frau ein -a anzuhängen.

Ein doppeltes Beispiel

So wird aus Herrn Bäcker der Baeckerus. Um die Widmung zu erreichen, verschiebt man diese Form in den Genitiv, aus -us wird -i, aus -a wird -ae. Ein Tier der Gattung Xus, das nach Herrn Bäcker benannt wird, heißt also Xus baeckeri. Ein Tier, das nach Frau Baecker benannt wird, heißt also Xus baeckerae. Die Endung -ii kommt heute nur noch selten vor, meist, wenn der Name bereits auf -ius endet. Früher hängte man statt dem -us oft ein -ius an, wenn der Name nicht auf einen Vokal endete. Daher kommt das doppelte -ii. Die Endung -iae war für Artnamen eher ungebräuchlich.

Der Erstbeschreiber hätte den Namen Bäcker auch zur Berufsbezeichnung Bäcker machen und diese übersetzen können. Dann würde aus Bäcker pistor bzw. pistora. Der Name wäre dann Xus pistori bzw. Xus pistorae. Oder er lässt die Übersetzung als „Nomen in Apposition“ stehen, dann würde daraus Xus pistor. Dies kommt nur selten vor. So heißt der Tigerhai nach einem der größten Anatomen aller Zeiten Galeocerdo cuvier und nicht Galeocerdo cuvieri.

Exkurs

Der österreichische Entomologe Oskar Scheibel widmete den Laufkäfer Anophthalmus hitleri dem damaligen „Herrn Reichskanzler Adolf Hitler als Ausdruck (seiner) Verehrung“. Der Ironie, einen kleinen, blinden, braunen Höhlenkäfer nach dem selbst ernannten Führer zu benennen, war er sich vermutlich 1937 noch nicht bewusst. Spätestens 1945 wird er anders gedacht haben.

Lieber nicht übersetzen

Ich bin, wie der Leser sicher schon gemerkt hat, kein Freund des Übersetzens wissenschaftlicher Namen. Insbesondere in Publikationen, die sich an Kinder mit Dinosaurierinteresse wenden, ist das selten sinnvoll. Kinder lernen nach meiner Erfahrung die wissenschaftlichen Namen genauso schnell wie Übersetzungen oder vermeintlich „kindliche“ Namen wie „Scharfzahn“ oder „Donnerechse“. Ein tieferes Verständnis geht aus dem Namen selten hervor, so dass die Übersetzung keinen „Mehrwert“ bildet.

In anderen Bereichen arbeiten Kinder problemlos mit schwierigen Namen, seien es die Pokemons Smettbo, Nidorino oder Sichlor, oder auch andere Kinder namens Phoebe-Zoe, Nebahat oder Mauno. Hier wird auch nie übersetzt, wer will schon wissen, dass der Pokemon-Name Pikachu „Piepsender Pfeifhase“ bedeutet?


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