Aufruf zum Guerilla-Gardening

Bereits im letzten Jahr ging das Bienensterben groß durch die Medien. Gerne wird Albert Einstein zitiert, mit den Worten „Wenn die Bienen verschwinden, hat der Mensch nur noch vier Jahre zu leben; keine Bienen mehr, keine Pflanzen, keine Tiere, keine Menschen mehr.“* Mittlerweile ist ein allgemeines Insektensterben daraus geworden, auch die Vögel leiden darunter. Hand aufs Herz: wer hat letztes Jahr Schmetterlinge gesehen und wenn ja, wie viele?
Aufgeräumte Landschaft
Wir Menschen, insbesondere die Deutschen haben einen Sinn für Ordnung. Was rumliegt, wird weggeräumt. Wo etwas unregelmäßig ist, wird es regelmäßig gemacht. Was auffällt, wird reguliert. Unterschiedliches, wird normiert. Wo Unrat herum liegt, wird aufgeräumt.
Das hat uns in den letzten Jahren und Jahrzehnten viele Brachflächen in den Städten und Dörfern gekostet. Dass diese „wertlosen“ Flächen für die Natur wichtige Rückzugsräume waren, haben wir erst gemerkt, als sie bebaut, begradigt oder reguliert waren. Auch wenn einige Ökologen jubeln: „Die Artenvielfalt in den Städten ist hoch“, ist doch die Individuendichte der meisten Arten extrem gering – weil zwischen geeigneten Lebensräumen so viel ungeeignete Fläche von uns gebraucht wird.
Genutzte Landschaft

Man könnte einzelne Häuser im Verbund der Städte einreißen, den Schutt teilweise abfahren und die Flächen brach liegen lassen. Sinnvoll ist das nicht, schließlich wohnen oder arbeiten dort Menschen, die dann woanders wohnen oder arbeiten müssten. Das würde das Problem nur verlagern.
Innerstädtische Grünflächen sind begehrt, bei Stadtplanern, die dort Häuser bauen wollen, bei Meteorologen, die sie für den Lufttransport und zur Kühlung der Stadt schätzen. Vor allem aber bei den Bürgern, die hier einen Teil ihrer Freizeit verbringen: Spazieren, Hunde ausführen, Sport treiben oder einfach nur Zeit im Grünen verbringen. All das verträgt sich aber oft nicht mit großer Biodiversität. Kurz gemähte Rasen vertragen es besser als eine Wiese, wenn viele Menschen darüber laufen. Auch hier kommt die Natur zu kurz, auch wenn alles grün ist.
Natur anders denken
Wenn die Natur an den üblichen Standorten zu kurz kommt, müssen unübliche Lösungen her. Niemand kann mal eben so zwei Hektar Blumenwiese, komplett mit Früh- bis Spätblühern und ergänzenden Stauden und Sträuchern aus dem Hut zaubern. Das ist auch nicht nötig. Wer einen Garten hat, ist fein raus. Meist reicht es schon (Achtung, jetzt kommts!), weniger dran zu machen. Berichte aus einem solchen Garten gibt es in diesem Blog reichlich.
Wer keinen Garten hat, kann auf andere Weise Naturräume schaffen. Blumen auf dem Balkon hat nahezu jeder. Warum keine einheimischen Pflanzen, die nektar- und pollenreiche Blüten bereithalten?
Die kleinste Wiese der Stadt
An vielen Fenstern, auch in Stadtwohnungen kann man Blumenkästen aufhängen. Das kann und sollte man nutzen. Wer es billig mag, buddelt irgendwo ein wenig Mutterboden aus, mischt ihn mit Sand und sät Samen einheimischer Wildpflanzen darauf bzw. darin aus. Der Handel hat auf die Nachfrage nach Wiesenblumen längst reagiert. Er bietet Samenmischungen in unterschiedlichster Zusammensetzung an und für jede Fläche. Einfach ausprobieren, was kann schon schief gehen? Ein paar hundert Quadratzentimeter Wiese vor dem Fenster sind eine nette Idee. Bei ausgegrabenem Boden und einer Blumenmischung bleibt es sowieso spannend, was sich wann entwickelt und welche Pflanzen überraschend hinzu kommen.
Das Schöne an der Sache: Solche Blumenkästen brauchen kaum Pflege. Die Pflanzen sind an unser Klima angepasst und daher wenig empfindlich. Nur bei längerer Trockenheit sollte man gießen. Die Hersteller achten bei Mischungen darauf, die Blütezeiten der Pflanzen zu staffeln: Ist die eine Art verblüht, hat längst die nächste Blume ihre Blüten geöffnet.
Diese Eigenschaften machen Blumenkästen mit heimischen Wildblumen auch für Stellen attraktiv, an denen Menschen eher selten sind, auf Flachdächern beispielsweise. Im Gegensatz zu Menschen haben Bienen wenig Schwierigkeiten, Blumenkästen auf den Dächern von Hochhäusern, Schulen oder Bürogebäuden zu erreichen. So kann man der Natur einen kleinen, aber recht intensiven Teil der genutzten Fläche zurückgeben.
Übrigens: nahezu jedes Gefäß kann zum Blumenkasten werden. Ein undichter Zinkeimer, eine alte Badewanne, die Ölwanne eines Schrottautos. Blechschüsseln oder Zinkwannen kann man auch gut bepflanzen, sollte aber an einen Ablauf denken. Apropos Ablauf: Ich habe auch schon eine ausgediente Toilettenschüssel als Pflanzgefäß gesehen, und da waren nicht nur Tagetes drin.
Zwiebel-Zweitverwertung

Im Frühling bieten nahezu alle Garten-Fachgeschäfte, viele Blumenläden und auch zahlreiche Supermärkte vorgetriebene Blumenzwiebeln an, oft mit weiteren Dekoelementen kombiniert. Da diesen Schalen in der Regel die Erde fehlt, treiben die Zwiebeln zwar kräftig aus und blühen schön, haben dann aber kein allzu langes Leben. Meist landen sie danach im Müll, man braucht den Platz schließlich für andere Dekoration.
Ich bin dieses Jahr auch wieder dem Angebot erlegen. Frei nach dem Motto: „Halb zog es ihn, halb sank er hin“ musste ich drei Supermärkte nach Narzissenzwiebeln durchsuchen, bis ich sie dann beim Discounter fand. Jetzt ist mein ganzes Fensterbrett voll mit Gefäßen voller Narzissen. Wenn sie ausgeblüht sind, schmeiße ich sie allerdings nicht weg. Sie wandern auf die Wiese, wo sie sich hoffentlich vermehren. Sollte noch jemand welche übrig haben: ich habe noch gut 200 qm, auf denen ich jede Menge Blumenzwiebeln unterbringen kann.
Schädlingszucht leicht gemacht
Ja, tatsächlich, ich will diesen Sommer Pflanzenschädlinge ziehen. Hierbei geht es mir um Blattläuse. Eine der Pflanzen, die nahezu immer verlaust, ist die Kapuzinerkresse. Ich habe vor, sie in mindestens einem Blumenkasten auf dem Garagendach auszusäen, möglicherweise noch in weiteren Kästen, aus denen sie frei herunter ranken kann. Damit locke ich Blattläuse an und hoffe, dass sie sich dort anständig vermehren.
Wieso das? Meisen füttern ihre Jungen zu einem großen Teil mit Blattläusen, bei Blaumeisen sind sie das ganze Jahr über ein wichtiger Nahrungsbestandteil. Wozu betreibe ich so viel Aufwand, Meisen Brutmöglichkeiten zu bieten, wenn sie nix zu futtern bekommen? Außerdem mag ich die großen, orangenen Blüten.
Guerilla-Methoden
In den meisten Städten gibt es noch weitere Möglichkeiten, Blumen auszubringen. Grünstreifen am Rande von Straßen und Radwegen, Verkehrsinseln gehören zum öffentlichen Raum. Mitarbeiter des Grünflächenamtes mähen sie mehr oder weniger regelmäßig. Insbesondere wo selten gemäht wird, kann sich ein wenig subversive Gartenarbeit lohnen. Vergessene Blumenkübel, traurige Strauchbepflanzung, überall da, wo man den öffentlichen Raum etwas bunter gestalten kann, helfen … Samenbomben!
Da kommt tatsächlich die kriegerische Rhetorik ins Spiel. Der Guerilla verwendet Bomben, der Guerilla-Gärtner ist friedlicher und nimmt lieber Samenbomben.
Einige Stadtverwaltungen haben bereits auf diesen Trend reagiert. Sie bieten Flächen zum Aussäen von Wildblumen an, die dann erst im Juli gemäht werden. Andere nehmen Spenden in Form von Blumenzwiebeln entgegen und pflanzen diese aus.
Auch auf privatem Gelände hilft es, mit dem zuständigen Hausmeister zu sprechen.
Bombenbau – macht auch Kindern Spaß
Disclaimer: Liebe BND-, Verfassungsschutz oder NSA-Mitarbeitende, oder wer sonst diese Seite überwacht: hier werden keine explosiven Kampfmittel produziert, sondern harmlose Samenbomben, die es ermöglichen, Pflanzensamen an unzugänglichen Stellen einfach auszubringen. Die reißerische Zwischenüberschrift habe ich nur gewählt, um Aufmerksamkeit zu erregen. Vielleicht probiert ihr es auch einmal mit Guerilla-Gardening, wenn euch euer Büro-Alltag etwas zu grau wird. Ihr habt sicher geeignete Flächen am oder auf dem Bürogebäude.
Eine blühende Toilettenschüssel mit Iris und Schleierkraut, auf dem Dach der Geheimnisvollen der Chausseestraße, das hätte was…
Wie der Guerilliero von seinen Sprengbomben lebt, liebt der Guerilla-Gärtner seine Samenbomben.
Die Dinger sind relativ einfach gemacht, vor allem, wenn Kinder mithelfen. Man braucht nur eine große Schüssel, halbvoll mit Blumenerde und Lehm oder Ton. Die Mischung rührt man mit Wasser an, bis es eine gut knetbare Masse gibt. Die Konsistenz von weichem Knetgummi erscheint mir optimal. Dann gibt man die gewünschten Samen zu und knetet das Ganze noch einmal gut durch, um die Samen zu verteilen. Bewährt haben sich laut Literatur vor allem Kornblume, Mohn, Tagetes, Malven, Phlox, Sonnenhut, aber auch andere Arten. Der BUND, aber sicher auch der BND (wenn er sich damit befassen würde), empfiehlt, nur einheimische Pflanzen, möglichst in der Naturform auszusäen. So kann man der Ausbreitung von Neophyten in den Städten entgegenwirken.
Aus dieser Masse formt man dann mit den Händen (Kinder haben da besonderen Spaß) Kugeln von Haselnuss- bis Golfballgröße. Diese kann man dann an der Luft oder bei sehr wenig Hitze im Backofen antrocknen. Die Samenbomben sind sofort einsatzbereit, können aber kühl und trocken gelagert, noch eine Weile warten. Sie sind auch ein tolles Geschenk.
Bomben für jeden Einsatzzweck
Je nach Einsatzzweck bieten sich verschiedene Formen an. Runde Formen rollen weit, wenn sie geworfen werden. Flach gedrückte Kugeln haben eher Cookie-Form und rollen nicht ganz so weit. Sie haben aber eine relativ große Fläche, aus denen die Pflanzen keimen können. Quader- oder würfelförmige Samenbomben rollen nach Abwurf nicht sehr weit und eignen sich, wenn vor allem kleinere Flächen bombardiert werden.
Flächenbombardements lassen sich eher mit kleineren Kugeln vornehmen, die sich hoffentlich gut verteilen, Schwerpunkte eher mit großen Cookies oder Würfeln.
Vorteile der Samenbomben
Die Verteilung durch die Samenbomben ist oft einfacher, als bei ungeschützten Samen, die vom Wind oder Wasser weggetragen werden können. Die trockene Erde schützt die Samen vor (den meisten) Vögeln und Nagern. Durch den Blumenerde- oder Kompostanteil werden die Jungpflanzen gut mit Nährstoffen versorgt, bis die Wurzel in den Boden eindringt. Mischt man die Samen von Pflanzen mit unterschiedlichen Standortansprüchen, wird sich stets die für diesen Standort am besten angepasste Art entwickeln.
Bitte eins nicht tun: Andere Gärtner zu den eigenen Methoden „zwingen“ und in einen „gepflegten deutschen Garten“ Samenbomben mit „Unkraut“ werfen. Die Pflanzen haben kaum eine Chance, groß zu werden. Der Gärtner ärgert sich und sieht sich unter Umständen sogar genötigt, ein Pflanzengift zu verwenden. Lieber überzeugen als zwingen.
Ebenso wenig haben Samenbomben in Naturschutzgebieten zu suchen.
* Ob dieses Zitat tatsächlich von Albert Einstein stammt, ist umstritten. Letztlich ist es egal, ich möchte nicht ausprobieren, ob es so stimmt.