Etwas forensische Ornithologie

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Die Vorgeschichte

Turmfalke auf Balken
Der Turmfalke auf seinem Balken, von unten

Seit einigen Monaten übernachtet ein Turmfalke gelegentlich unter dem Vordach über der Küche meiner Eltern. Normalerweise beschränken sich die Anzeichen seiner Anwesenheit auf ein bis zwei Gewölle und einige weiße Kleckse pro Nacht. Also ein eher angenehmer Zeitgenosse, zumal er ja als Mäusejäger bekannt ist. Sein Kommen ist nicht vorherzusagen, mal kommt er tagelang gar nicht, dann übernachtet er wieder regelmäßig auf seinem Balken.
In welcher Beziehung er zu den Turmfalken, die im gut 200 m entfernten Kirchturm wohnen, habe ich noch nicht festgestellt. Ist er eines der drei Jungtiere, die sie letztes Jahr großziehen konnten?
Vor ein paar Wochen ist ein zweiter, großer Vogel hinzugekommen. Noch unregelmäßiger als der Turmfalke ist er, Gewölle habe ich (leider) auch noch nicht finden können. Meine Mutter sagt, dass das Tier in der Nacht gelegentlich leise „hu“ macht.
Ich weiß, dass in der Gegend gelegentlich Schleiereulen vorkommen, man hört sie ab und zu, ich habe auch schon einmal eine gesehen. Ob es sich bei dem zweiten Vogel um eine Schleiereule handelt, kann ich aber derzeit nicht feststellen.

Was ist passiert?

Am 1. April (ausgerechnet!) weckte mich meine Mutter mit den Worten „Es ist ein Mord geschehen“. Also nichts wie in die Klamotten und an den Tatort, sowas klingt ja spannend. Der Tatort erwies sich als nicht auffindbar, aber Leichenteile lagen auf dem Balkon vor der Küche herum. Damit waren allerdings nicht irgendwelche menschlichen Arme und Beine gemeint, sondern Federn. Eine große Zahl kleiner Federn flog überall herum, einige wenige, größere Federn konnte ich zusätzlich retten.

Jetzt ging die erste autodidaktische Lektion in forensischer Ornithologie los. Wie im „Tatort“ müssen Gerichtsmediziner und Kommissar zunächst herausfinden, wer das Opfer war. Die Spurenlage:

  • Kleinvogel,
  • hinterlässt graue und rostbraune Federn
  • vermutlich ortsansässig
  • kann von einem Turmfalken oder ggf. einer Schleiereule geschlagen werden.

Auf der Website www.vogelfedern.de gibt es zahlreiche -ich nenne sie mal- Federbilder, anhand denen man vergleichen kann, welcher Vogel welche Federn hat. Eine Rückwärtsbestimmung ist auch möglich, aber mühsam.
Jedenfalls konnte ich so zunächst einmal die Federn unterschiedlichen Gruppen zuordnen: die kleinen Federn waren Bauch- und Rückenfedern. Die längeren, Rostbraunen waren Steuerfedern, während die Grauen als Handschwingen bezeichnet werden.
Der nächste Schritt war dann, „nur noch“ einen Vogel zu finden, auf den die oben stehende Beschreibung passt. Mit Hilfe der Birding NRW-Gruppe bei Facebook konnte der Vogel dann bestimmt werden. Es war ein Hausrotschwanz.

Das Opfer

Hausrotschwänze leben seit vielen Jahren in der Gegend um das Haus meiner Eltern und kommen auch immer wieder in den Garten. Als Wartejäger sitzen sie gerne auf der Garage an und jagen Insekten in den nahen Büschen oder auf der Wiese. Ich fürchte, diesen Sommer werde ich das eher selten zu sehen bekommen.

Anmerkung: Ich hatte Recht, das Revier ist nach dem Vorfall nicht neu besetzt worden. Ich werde darauf achten, wie es nächstes Jahr verläuft. Allerding habe ich einen großen Haselstrauch, der recht zentral im Garten steht, radikal zurückgeschnitten. Das muss ich im Frühjahr irgendwie mit anderen, neuen Büschen kompensieren.

Der Täter

Von einem Mörder zu sprechen, wäre der Situation nicht angemessen. Ein Greifvogel oder eine Eule, oder ein Marder, der einen (anderen) Vogel schlägt, begeht keinen Mord, sondern ernährt sich artgerecht. Von daher erfolgt der Freispruch schon, bevor überhaupt geklärt wird, wer da zugeschlagen hat.
Da keine der Federn sichtbar beschädigt ist, kann ich einen Marder als Verursacher schnell ausschließen. Sowohl der Turmfalke, wie auch die Schleiereule rupfen ihre Opfer in Bäumen oder -wie hier- hoch an Gebäuden. Die beiden orangefarbenen Steuerfedern zeigen beide eine mehr oder weniger deutliche Schnabelmarke im unteren Bereich. Der Vogel hat sie dort gepackt und aus der Haut gezogen. Ein entsprechendes Äquivalent habe ich bei Bildern von Rupfungen durch Turmfalken im Netz gesehen. Leider habe ich auch nach längerer Suche kein Bild einer Rupfung einer Eule gesehen, das Federn gut genug zeigt, um eventuelle Marken zu erkennen.

Die Frage nach dem Täter bleibt also offen.

 

Nachtrag:

Bei meinem Besuch im Naturhistorischen Museum Braunschweig im Dezember 2018 konnte ich ein Präparat eines Kiebitz betrachten, der von einem Wanderfalken gerissen wurde. Die Federn zeigten die selben Schnabelmarken, wie ich sie hier feststellen konnte. Daher liegt die Vermutung nahe, dass hier doch der Turmfalke zugeschlagen hat.

 

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