Kaum bekannt und spektakulär: Die Fledersaurier

Ein spektakulärer Dino, Yi qi, der Fledersaurier

Vor etwa 163 Millionen Jahren, im mittleren Jura lebte in den Wäldern des alten Chinas ein Dinosaurier, der ungewöhnlicher kaum sein konnte. Wer nach einem Riesen oder wenigstens nach einem hüfthohen Tier Ausschau hielt, hat ihn leicht übersehen: Ambopteryx longibrachium erreichte eine Kopf-Rumpf-Länge von etwa 15 cm und trug einen langen Schwanz. Vermutlich lebte er in den Bäumen und ernährte sich von allem, was er fand.

Ein Baumgleiter

Weder der bezahnte Schnabel noch die Befiederung, die den ganzen Körper bedeckte, machen das Tier zu einer Sensation. Aber die verlängerten Arme, die eine fledermausartige Flughaut trugen, sind nahezu einzigartig! Anders als die meisten kleinen Therpopden hatte Ambopteryx keinen langen Schwanz. Sein Körper endete in einem kurzen, muskulösen Anhang, dem Pygostyl, aus dem vier lange Federn herausragten. Der kleine Dinosaurier war damit hervorragend ausgerüstet, um auf Bäume zu klettern und von Ast zu Ast zu gleiten. Zu einem aktiven Flug war er vermutlich nicht fähig. Er glich in seiner Lebensweise vermutlich den rezenten Gleithörnchen oder Gleitbeutlern – nur lebte er teilweise räuberisch.

Video der Erstbeschreiber zu Ambopteryx longibrachium

Kein Pterosaurier

Mit den hautflügeligen Pterosauriern oder Flugsauriern war er Ambopteryx nicht näher verwandt. Diese Gruppe hatte sich lange vor dem Jura von den Dinosauriern getrennt. Sie unterschieden sich von den Dinosauriern durch einen anderen Schädelbau. Ein besonders abgeleitetes Merkmal der Dinosaurier, die rückwärts orientierte Schultergelenkspfanne ist bei den Pterosauriern nicht vorhanden. Mit den bekannten Gattungen Pterosaurus, Quetzalcoatlus oder Ornithocheirus hat Ambopteryx also nichts zu tun.

Eine ganze Gruppe Fledersaurier

Ambopteryx steht jedoch nicht alleine da. Sein ältester bekannter Verwandter ist unter dem Namen Epidendrosaurus ningchenensis bekannt. Seine wenigen Funde sind zwischen 167,7 und 150,8 Millionen Jahre alt. Interessanterweise kennt man ausschließlich Jungtiere von der Größe eines Spatzen. Er ist der Wissenschaft seit dem Jahr 2002 bekannt. Sein herausragendes Merkmal ist der verlängerte dritte Finger. Konservativ geht man davon aus, dass Epidendrosaurus hiermit in der Borke oder Grabgängen im Holz nach Insekten gesucht hat, analog zum rezenten Fingertier. Sein Schwanz war noch sehr lang.
Umstritten ist die Gattung Scansoriopteryx, die Epidendrosaurus sehr ähnelt. Möglicherweise handelt es sich bei Scansoriopteryx heilmanni um ein etwas älteres Exemplar von Epidendrosaurus ningchenensis.


Einschub: nomenklatorische Probleme

Problematisch wird die Sache, weil hier die Taxonomie und deren Regeln betroffen sind. Für den Fall, dass beide Gattungen / Arten identisch sind, stünde eine interessante, wenn auch rein akademische Debatte über die Priorität der Namen ins Haus: Epidendrosaurus ningchenensis wurde zunächst online beschrieben. Dann folgte die Erstbeschreibung von Scansoriopteryx heilmanni im Druckformat und schließlich lieferten die Autoren die Erstbeschreibung von Epidendrosaurus ningchenensis in einer Druckpublikation nach.

Hier musste die Nomenklaturkommission der ICZN eingreifen und hat Epidendrosaurus ningchenensis als gültigen Namen anerkannt.

Doch damit nicht genug. Scansoriopteryx heilmanni ist Typusart der Familie Scansoriopterygidae, die nach ihm benannt wurde. Hier hat die Nomenklaturkommission offenbar nicht weit genug eingegriffen, denn eine Familie kann nicht nach einem Synonym benannt werden. Geht man die Sache streng an, muss die Familie jetzt Epidendorsauridae heißen.


Epidexipteryx

Seit 2008 ist Epidexipteryx hui bekannt. Sie ist ähnlich alt wie Epidendrosaurus und verfügte ebenfalls über verlängerte dritte Finger. Ihr Schwanz war aber bereits sehr kurz und trug vier lange bandartige Federn. Epidexipteryx war etwa so groß wie eine Taube, vollständig befiedert und konnte sicher nicht fliegen. Von Epidexipteryx hui ist nur ein einziges Exemplar bekannt.

Yi qi, der Gleiter

Zum Gleitflug fähig war aber der kaum jüngere Yi qi. Er lebte vermutlich vor 166,1 bis 157,3 Millionen Jahren in China. Mit etwa 380 g war er ungefähr so groß wie eine Dohle. Sein Schwanz war kurz und verfügte vermutlich ebenfalls über die charakteristischen vier Bandfedern. Seine nach unten gebogene Schnauze hatte nur wenige Zähne und ähnelte sehr einem Schnabel. Ein Alleinstellungsmerkmal ist ein spornartiger Knochen des Handgelenkes, der nach hinten gerichtet ist. Vermutlich diente er als Spannelement für die Gleitflughaut des Tieres. Yi qi ist vollständig befiedert gewesen, jedoch waren die Federn einfach und pinselartig und hatten keine besondere aerodynamische Funktion. Am Unterarm waren sie bis auf 6 cm verlängert.
Die Gleitflughaut spannte sich zwischen den Fingern und dem Knochensporn des Handgelenkes. Möglicherweise erreichte sie den Körper und sogar das Hinterbein, ist in diesem Bereich jedoch nicht fossil überliefert.

Vermutlich sah Yi qi auf den ersten Blick einer modernen Fledermaus recht ähnlich, wenn man die bandartigen Federn des Schwanzes ignoriert. Diese waren vermutlich zur Kontrolle der Fluglage notwendig.

Ambopteryx, der Fledersaurier

Die neu beschriebene Art Ambopteryx longibrachium war mit nur 15 cm Körperlänge deutlich kleiner als Yi qi. Auch sie verfügt über den Knochensporn am Handgelenk.

Zur äußeren Systematik

Derzeit werden die Scansoriopterygidae bzw. Epidendorsauridae als Schwestergruppe der Averaptora gezählt. Diese Gruppe enthält die Dromaeosauridae, Troodontidae und die Aviale. Man geht also davon aus, dass sie weniger vogelähnlich waren, als beispielsweise Deinonychus. Insgesamt ist die Position dieser Gruppe aber nicht gut belegt. Hierzu sind zu wenige Arten mit zu wenigen Exemplaren bekannt, die auch noch unvollständig sind. Vorgängerformen fehlen bisher völlig.

Ein bisschen Zahlenschubserei

Über die Flugfähigkeit von Yi qi und nun auch Ambopteryx longibrachium werden Paläo-Biomechaniker noch eine Weile rechnen. Für Zahlenfetischisten sei folgendes angemerkt: Als oberste Grenze der Flächenbelastung für den Vogelflug gelten (derzeit) 2,5 g/cm². Je geringer die Flächenbelastung ist, desto langsamer kann das Tier fliegen und um so mehr Reserve steht für Flugmanöver zur Verfügung.

Um die Flächenbelastung der Flughäute bei Yi zu berechnen, setzten die Wissenschaftler drei Modelle ein:

  • Das Gleitfroschmodell, bei dem die Flughäute nur zwischen den Fingern und dem Sporn verläuft
  • Das Maniraptormodell, bei dem ein schmaler Flügel ähnlich der Vorderflügel von Maniraptor gui angenommen wurde
  • Das Fledermausmodell, bei dem die Flughaut einen breiten, fledermausartigen Flügel formte.

Die Flächenbelastung beim Gleitfroschmodell war so hoch, dass man hier kaum von einem Gleitflug sprechen kann, es wäre eher zu einem gebremsten Absturz gekommen, vergleichbar einem Wingsuit. Das Maniraptormodell lieferte eine Flächenbelastung, die bei etwa 1,2 g/cm² lag. Das ist auf dem Niveau einer Ente – einem schnellen, aber nur begrenzt wenigen Flieger.
Das Fledermausmodell lieferte eine Flächenbelastung von 0,6 g/cm², was einem typischen Meeresvogel entspricht – diese können stunden-, teilweise tagelange Gleitflüge absolvieren.

Die Steuerung

Ein weiteres Problem beim Flug ist die Lage des Schwerpunktes und des Auftriebspunktes. Der Schwerpunkt liegt bei Gleitern, die im vorderen Bereich einen durchgehenden Flügel (oder im Fall von Yi zwei gegenüberliegende Flügel) haben, vor dem Flügel.

Die Reduktion des schweren und langen (Hebelwirkung!) Schwanzes deutet bereits auf eine Verbesserung der Gleitfähigkeit auf dem Weg von Epidendrosaurus zu Yi hin. Vermutlich hat dies aber nicht ausgereicht, um Yi eine stabile Fluglage zu ermöglichen. Hier spielen die vier bandartigen Federn eine entscheidende Rolle. Sie haben einen großen Luftwiderstand, und „ziehen“ den ganzen Körper nach hinten. Hierdurch wird er stabilisiert, vergleichbar dem kleinen Bremsfallschirm, der an älteren Gleitschirmen hängt. Analog ist hier die Funktion eines Treibankers im Wasser.


Anmerkung

Mir war diese Gruppe Dinosaurier bisher völlig unbekannt. Ich habe mich heute staunend mit diesen Tieren näher befasst. Hier ist ein nahezu schulmäßiger Weg der Evolution gezeichnet, von einer geeigneten Ausgangsart, die bereits an das Leben auf Bäumen angepasst ist. Die nächste Art zeigt eine Reduktion des Schwanzes, aus unbekannten Gründen. Ohne diese Reduktion als Präadaptation wäre die Gleitfähigkeit von Yi nicht möglich gewesen.

Wir haben es hier mit einem weiteren „Versuch“ der Wirbeltiere zu tun, aktiv zu fliegen. „Versuch“ ist sicher das falsche Wort, es unterstellt Absicht, die die Evolution nicht hat. Wäre hier nicht nur die Präadaptation der Schwanzreduktion, sondern auch der Konturfeder da gewesen, wer weiß, ob wir nicht zwei Gruppen fliegender Saurier am Vogelhaus sitzen hätten?

Die Gruppe hat definitiv mehr Aufmerksamkeit verdient. Nicht nur von der Wissenschaft, die sich offenbar mit Leidenschaft, theoretischen und virtuellen Modellen auf die Tiere stürzt, um ihren Gleitflug zu erforschen. Auch in Kinder-Dinobüchern wären sie toll, eben weil sie klettern und gleiten können, aber auch weil sie so klein sind. „Mamagerecht“ klein, Kinder mögen es spektakulärer.

Schreibe einen Kommentar